Lernen mit Patienten im Wachkoma – hierfür entwickelten wir gemeinsam mit unseren Pflegekräften ein eigenes Pflegekonzept: Neuroplastisches Training nach Ramin (NTR).
Das Neuroplastische Training nach Ramin (NTR) ist eine pflegerische Konzeption, um mit Patienten im Wachkoma oder ähnlichen schweren neurologischen Wahrnehmungsstörungen zu lernen. Dabei ist festzuhalten, dass das Koma selbst keine Erkrankung ist. Die häufigsten Auslöser sind Erkrankungen des Gehirns – wie Hirnhautentzündung, Schlaganfall, Unfälle mit Schädel-Hirn Trauma, Einblutungen, endokrine Stoffwechselstörungen, speziell Sauerstoffmangel, Über-/Unterzuckerung, sowie Vergiftungen durch Gifte, Narkosemittel oder Drogen. In der Vergangenheit wurden viele pflegerische Ansätze erarbeitet, die vorrangig versucht hatten, durch bestimmte Arten der Pflege und Positionierung, einen Zugang zu den Betroffenen herzustellen.
Das NTR legt drei Erkenntnisse zu Grunde:
- Menschen lernen immer, lebenslang. Das gilt auch für Patienten im Wachkoma. Das lebenslange Lernen umfasst dabei keine Bildung im herkömmlichen Sinn, sondern praktische Erfahrungen. Es geht bei Lernen im Koma um niederschwellige Erkenntnisse, also um impliziertes Lernen.
- Die Übungen machen sich die Neuroplastizität zu Nutze. Neuroplastizität beschreibt ausschließlich einen dynamischen Umbauprozess des Gehirns – also keine Regenerationsfähigkeit, sondern eine Reorganisation von Nervenzellen.
- Das NTR legt ein axiomatisches System zu Grunde. Ein Axiom ist eine Grundannahme, die keines weiteren Beweises bedarf. Man kann nicht nicht lernen.
Anwendung des NTR
Die Behandlung beginnt in der Regel nach der Akutphase im Krankenhaus bzw. nach einer Reha. Wenn die Ergebnisse der Reha keine maßgebliche Verbesserung der Situation des Kranken bringt, kann dieser in eine Fachbetreute-Intensivpflege-Einheit (FabIE®) verlegt werden. Die FabIE® ist eine ambulante, außerklinische Wohnform – im Gegensatz zu einer Beatmungs-WG. Es handelt sich hier um Themenzimmer mit einer speziell auf Koma-Patienten abgestimmten Ausstattung. Der Betroffene muss das Apartment selbst anmieten. Falls die Kosten nicht privat übernommen werden können, werden diese zum Teil oder ganz durch das Sozialamt übernommen. Die Vergütung für die Grund- und Behandlungspflege tragen die Krankenversicherungen.
Vorbereitung eines NTR-Trainings
Nach der Patientenaufnahme wird eine Stabilisierung der vitalen Situation angestrebt. Zusätzlich kann eine mögliche Sanierung nosokomialer Keime vorgenommen werden. Im Anschluss erfolgt eine maximale Reduktion sedierender Medikamente (vor allem Neuroleptika/Morphiate), aber auch von Sauerstoffgabe und Beatmung. Ist auch dies abgeschlossen, kann mit der therapeutischen Pflege begonnen werden.
Um bestmöglich und individuell auf Patienten eingehen zu können, wird zusätzlich eine umfangreiche Patienten-Biografie erhoben. So ist es möglich, einen individuellen, auf den Patienten abgestimmten Trainingsplan zu erstellen. Dabei umfasst das NTR einen Katalog von Übungen, die aufeinander aufbauen. Alle Übungsteile sind speziell auf die individuellen Möglichkeiten des Lernenden angepasst.
Lernen im Wachkoma
Das eigentliche Lernen erfolgt, sobald eine Aufmerksamkeitsspanne von ca. 15 Minuten erreicht werden kann. Dabei wird auf Automatismen zurückgegriffe die wir als Kinder gelernt haben. Besonders für den Anfang eignen sich Aufzählungen wie beispielsweise Wochentage, ABC, 123 usw. Das Nahziel ist die Erarbeitung eines Ja/Nein Codes, das Fernziel die weitestgehende Rehabilitierung des Patienten. Letzten Endes hängt die Rehabilitationsfähigkeit stark von den verbleibenden Ressourcen des Betroffenen ab.
Zugang über Sinne
Dem NTR werden folgende Sinne des Menschen zugrunde gelegt:
- Fernsinne: Sehen, Höre
- Nahsinne: Fühlen, Schmecken, Riechen
- Empfindungen: Temperaturempfinden, Gleichgewichtssinn, Tiefensensibilität, Schmerzempfinden
Ethik zum Lernen im Wachkoma
Menschen im Koma sind nicht hirntot. In den meisten Fällen funktionieren die Abläufe im Körper selbständig – wie Herzschlag, Verdauung, oder Regulation der Körpertemperatur. Ein Abschalten im herkömmlichen Sinn ist damit nicht möglich. In vielen Krankenhäusern existieren klinische Ethikkomitees, die den Angehörigen helfen sollen, eine Entscheidung für oder gegen einen Behandlungsabbruch zu treffen. Es ist bisher nicht möglich, eine abschließende Prognose zu treffen, ob ein Outcome möglich ist. Um ein Leben zu gewährleisten sind mindestens drei Dinge nötig: Schutz, Ernährung und Pflege.
Das Neuroplastische Training nach Ramin haben wir gemeinsam mit unseren Pflegekräften entwickelt. Das Konzept kann als Open System betrachtet werden: es ist nie „fertig“ und kann nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnisen immer wieder angepasst und weiter entwickelt werden. Mehr Informationen zum NTR sind auch auf unserer Homepage zu finden.